Sobald man die Gewissheit hat, nun tatsächlich Leben im eigenen Körper zu tragen, weichen die freudigen Glückgefühle oft ersten Unsicherheiten und Ängsten. Fragen, ob man das alles schafft, eine gute Mutter sein wird oder dieses oder jenes noch essen darf, sind absolut normal.
Die Frage ist: Wann entwickelt sich eine psychische Störung und woran erkenne ich sie?
Während der Schwangerschaft kann es in einigen Fällen zu Beschwerden kommen, die unter anderem einen längeren Krankenhausaufenthalt bedeuten können. Treten Komplikationen innerhalb der Schwangerschaft auf, können als Reaktion darauf Ängste oder aus Depressionen entstehen. Wird die Psyche enorm belastet, z.B. bei einer ausgeprägten Hyperemesis gravidarum, was einen längeren Krankenhausaufenthalt bedeuten kann, kommt es mitunter zu Suizidabsichten.
Gegen Ende der Schwangerschaft können massive Geburtsängste auftreten. Dies ist besonders bei Müttern der Fall, die eine traumatische Geburt schon einmal erlebt haben.
Sexuelle Traumatisierungen aus der Kindheit können ebenfalls Auslöser einer Reaktualisierung sein, die während der Schwangerschaft, aber häufig auch direkt unter der Geburt erlebt wird. Sexueller Missbrauch, Schwangerschaft und Geburt betreffen nicht nur dieselben Körperbereiche, sondern werden in den überwiegenden Fällen mit ähnlichen Gefühlen von Kontrollverlust, Schmerz und Hilflosigkeit assoziiert.
Depressionen in der Schwangerschaft
Etwa 10 – 20 % aller schwangeren Frauen leiden an einer Depression: Niedergeschlagenheit, Antriebs- und Interessenverlust, Appetitminderungen und Schlafstörungen sind nur einige der wichtigsten Symptome. Tritt eine Depression während der Schwangerschaft auf, ist dies ein wichtiger und ernstzunehmender Vorbote einer postpartalen Depression. Eine Depression sollte umgehend von einem Facharzt abgeklärt werden. Bleibt sie unbehandelt, kann dies zum Suizid führen.
Gibt es bereits vor Vorfeld Partnerschaftsprobleme, Stimmungsschwankungen im Rahmen einer Persönlichkeitsstörung, fehlt es an sozialer Unterstützung oder ist eine Schwangerschaft gar nicht gewollt, kann es zu einer reaktiven depressiven Anpassungsstörung kommen. Liegt die Depression nicht in einem besonderen Umstand begründet, kann es sich um eine affektive Störung, wie z.B. eine rezidivierende Depression oder Bipolare Störung handeln. Ist die Frau bereits mit einer affektiven Störung vorerkrankt, steigt das Risiko postpartal wieder schwer zu erkranken. Leidet die Frau an einer Angst- oder Zwangsstörung, können sich die Ausprägungen während der Schwangerschaft verstärken. Es kann aber auch sein, dass die Symptome gleichbleiben oder sogar zurückgehen. Kommen psychotische Merkmale, wie z.B. Wahnphänomene hinzu, muss dies fast immer mit Medikamenten behandelt werden, da eine akute Gefährdung für Mutter und Kind besteht. Weiterhin ist hier unbedingt durch einen Facharzt abzuklären, woher die psychotische Symptomatik stammt: Gibt es eine organische Ursache, wie z.B. eine Schilddrüsenerkrankung oder neurologische Auffälligkeiten, gab es Drogenmissbrauch, z.B. durch Cannabis oder Amphetamine oder kann es sich um eine Erstmanifestation einer Schizophrenie handeln? Dies klärt ein Facharzt auf und leitet dann eine entsprechende Therapie ein. Erlebt die Schwangere eine Fehlgeburt oder Totgeburt, ist eine Trauerreaktion zu erwarten. Entwickelt sich daraus allerdings eine depressive Anpassungsstörung, bedarf es auch hier professioneller Hilfe.
Postpartale psychische Störungen
Gerade beim ersten Kind verändert sich die Welt, die man zuvor kannte, schlagartig. Alles, was vorher galt, muss sich nun ganz neu einfinden. Emotionale Turbulenzen, psychische Instabilität und körperliche sowie seelische Anpassungsleistungen gelten daher als normal.
Die hormonelle Umstellung kurz nach der Geburt führt zu einer labilen Stimmung. Rasche Wechsel zwischen Euphorie und Selbstzweifeln, Insuffizienzgefühlen mit Weinen und erhöhter Empfindlichkeit zeichnen den sogenannten Babyblues aus. Etwa jede zweite Frau ist zwischen dem dritten und fünften Tag betroffen. In der Regel bildet sich die Symptomatik von allein zurück und die Frau findet allmählich in ihr Gleichgewicht zurück. In dieser Phase ist eine klare Differenzierung zu einer behandlungsbedürftigen Symptomatik nicht immer möglich. Die Phase nach der Geburt stellt allerdings immer ein erhöhtes Risiko dar, an einer psychischen Störung zu erkranken.
Postpartale Depression und ihre Symptome
Etwa 10 - 15 % aller Frauen weltweit sind nach der Geburt von depressiven Symptomen betroffen und das ganz unabhängig vom sozioökonomischen Status. In den Industrieländern zählt die postpartale Depression mit Suizid zur häufigsten Todesursache von Müttern in der Perinatalzeit.
Der Entstehung von Depressionen legt man das Vulnerabilitäts-Stress-Modell zugrunde:
Wenn eine Frau also eine individuelle biologische oder genetische Veranlagung hat, können stressauslösende Ereignisse wie die Geburt eines Kindes zu einer Depression führen.
Von einer möglichen Veranlagung kann ausgegangen werden, wenn es im Vorfeld bereits zu Depressions- oder Angsterkrankungen kam oder eine allgemeine Stimmungslabilität vorliegt. Aber auch Mütter mit einem hohen Selbstanspruch und Hang zum Perfektionismus können anfälliger für eine Depression sein. Wenn es ungewollt zur Schwangerschaft kommt, eine werdende Mutter nur wenig bis gar keine Unterstützung aus dem Umfeld erfährt oder sich in einer finanziellen Notlage befindet, kann dies ebenfalls das Auftreten einer Depression begünstigen.
Eine Depression beginnt meist schleichend innerhalb von Wochen bis ca. 12 Monate nach der Geburt. Die Symptomatik ist vielfältig und umfasst das gesamte Spektrum depressiver Symptome. Im Folgenden werden zwei der häufigsten Typen beschrieben.
Typ A - Postpartale Depression vom Insuffizienztyp
Im Vordergrund stehen Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle. Mütter beschreiben hier besonders häufig, dass sie ihr Kind nicht lieben können. Außerdem fühlen sie sich unruhig, können sich kaum aufraffen, weil ihnen der Antrieb fehlt. Dinge, die früher Freude bereitet haben, sind jetzt unwichtig und es kommt zu Schlafstörungen. Ein Hungergefühl stellt sich ebenfalls nicht mehr wie gewohnt ein. Unbehandelt führt diese Erkrankung oft zur Chronifizierung und Zuspitzung bis hin zu Suizidalität. Wichtig ist hierbei die Problematik des erweiterten Suizids.
Typ B - Postpartale Depression vom Zwangstyp
Hier drängen sich vor allem unangenehme Gedanken auf, deren Inhalt daraus besteht, dem Kind in irgendeiner Weise zu schaden. Die Mütter schämen sich für ihre Bilder und Gedanken und vermeiden weitesgehend den alleinigen Kontakt zu ihrem Kind. So baden sie ihr Kind nicht mehr allein oder gehen nicht mehr spazieren. Meistens entwickelt sich diese Form der Depression nach einer bereits betsehenden Zwangssymptomatik oder -anfälligkeit. Allein das Verstehen und Aufklären über diese Depression wirkt oft schon entlastend. In der Regel setzen Menschen Zwangsimpulse nicht in die Tat um. Ein Austausch kann in Selbsthilfegruppen, wie z.B. unter www.schatten-und-licht.de sehr hilfreich sein.
Woran kann man eine Depression noch erkennen?
Typischerweise reagiert die Mutter mit einer geringeren Ansprache auf ihr Kind und vermeidet den Blickkontakt. Auch das Verhalten der Babys verändert sich: Es kommt häufiger zu Still- und Schlafproblemen, Vermeidungsverhalten mit Abwendung des Blicks und des Körpers, häufigeres Schreien sowie Futter- und Gedeihstörungen. Langfristig sind ein unsicherer Bindungsstil und bis in die Pubertät verminderte kognitive, emotionale, verbale und soziale Fähigkeiten zu beobachten.
Zwei Screening-Fragen nach Whooley (Quelle: Whooley et al. 1997)
Habe ich mich im letzten Monat häufiger niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos gefühlt?
Hatte ich im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die ich sonst gerne tue?
Therapie
Eine wichtige Voraussetzung sind die soziale Unterstützung und Entlastung der betroffenen Frau. Jede Form der Wertung sollte unbedingt unterlassen werden, da dies Schuld- und Insuffizienzgefühle verstärkt. Das Einforderung von Muttergefühlen sollte ebenfalls unterbleiben. Wichtig ist auch, den Stress zu reduzieren, z.B. kann eine Vertrauensperson nachts das Baby versorgen, damit sich die betroffene Mutter erholen kann. Partner und Familienangehörige können in den Alltag einbezogen werden, um eine zusätzliche Entlastung zu schaffen.
✓ Verlängerung der Hebammenbetreuung
✓ Haushaltshilfe durch die Krankenkasse
✓ Familienhebamme in Anspruch nehmen
✓ Kontakt zum Netzwerk "Frühe Hilfen"
✓ Kontakt zu Selbsthilfeorganisationen wie "Schatten und Licht"
Postpartale Psychosen
Diese Erkrankung kommt seltener vor, ist aber von erheblicher Gefahr für Mutter und Kind gekennzeichnet. Die postpartale Psychose stellt eines der schwersten Störungsbilder dar. Für das Baby besteht eine generelle potentielle Gefahr durch einen erweiterten Suizid, durch schwere Verhaltensauffälligkeiten der Mutter im Rahmen einer manischen Symptomatik oder unter dem Einfluss akustischer Halluzinationen (böse Stimmen hören) oder Wahnsymptomen.
In der Regel ist eine stationäre Behandlung in der Psychiatrie über Wochen bis Monate unumgänglich. Eine postpartale Psychose tritt eher rasch und damit viel früher als eine Depression ein. Die Zustände sind hochakut und mit rapider Verschlechterung innerhalb von Tagen oder sogar Stunden. Deshalb sollte eine antipsychotische Therapie so schnell wie möglich eingeleitet werden.
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